Adapt Hard – Was Büroathleten von Spitzensportlern lernen können (Teil 2)

Im ersten Teil zum Thema „Was Büroathleten von Spitzensportlern lernen können“ wurde ein Einblick gegeben, wie Büroathlet*innen Prinzipien aus dem Profisport nutzen können, um ihre individuelle Leistungsfähigkeit und ihr Wohlbefinden aufrecht zu erhalten. Wer sich mit der Erhaltung der Leistungsfähigkeit nicht zufriedengeben möchte, sondern seine Leistung im Job/Sport/Beziehung steigern möchte, wird in diesem Artikel passende Ansätze finden.

Wenn im Profisport über Leistungssteigerung gesprochen wird, ist biologisch betrachtet meist nichts anderes gemeint als das Ergebnis eines erfolgreichen Anpassungsprozesses auf erhöhte Anforderungen. Voraussetzung für einen erfolgreichen Anpassungsprozess ist die spezifische Auswahl der Belastungsform sowie die adäquate Belastungssteuerung. Wenn es bspw. das Ziel eines Sprinters ist, eine Zehntelsekunde auf 100m-Strecke schneller zu werden, benötigt es die richtigen Drills (Belastungsformen) in der richtigen Intensität und Frequenz sowie die dazu angepasste Regeneration (zusammengefasst: Belastungssteuerung). Sind die Drills zu unspezifisch, d.h. es gibt nur einen unzureichenden Übertrag auf die Sprintleistung der Athlet*in, wird der Sprinter trotzt ambitionierten Trainings keine Fortschritte machen. Ebenso verhält es sich, wenn der Belastungsreiz unterschwellig ist oder keine ausreichende Regeneration erfolgt. Bei unterschwelligem (d.h. zu geringen) Belastungsreiz erfolgt keine biologische Anpassung, denn der menschliche Organismus ist evolutionär auf Effizienz gepolt. Nur, wenn der Organismus einem Reiz ausgesetzt ist, der ihn stark fordert, adaptiert er. Sonst ist es einfach ressourceneffizienter den Status Quo zu behalten. Auch bei nicht ausreichender Regeneration bleibt eine Leistungssteigerung aus bzw. das Leistungsniveau kann sogar sinken. Grund dafür ist, dass der erfolgte Belastungsreiz zunächst einmal einen kurzfristigen Leistungsabfall bedingt. Dabei ist es egal, ob wir ein hartes körperliches Training oder einen stressigen Arbeitstag hinter uns haben. In der Regenerationsphase setzen dann nach einem Zeitraum des Leistungsabfalls aufbauende Prozesse ein. Diese Wachstumsprozesse führen bei ausreichender Erholung zu einer sog. Superkompensation, also einer Steigerung der Leistungsfähigkeit über das Vor-Belastungs-Niveau (Baseline). Diese Leistungssteigerung ist leider nicht von unendlicher Dauer, denn aufgrund des Effizienzprinzips des menschlichen Organismus fällt auch diese Leistungssteigerung mit der Zeit wieder ab.

Um einen leistungssteigernden Effekt zu realisieren, muss idealerweise zum Zeitpunkt der höchsten Leistungsfähigkeit in der Superkompensationsphase ein weiterer Belastungsreiz gesetzt werden. Aufgrund der erfolgten Anpassung kann dieser bzgl. seiner Intensität den vorherigen Reiz übersteigen. Stimmt das Timing, dann folgt auf eine weitere Abbau- und Aufbauphase eine erneute Superkompensation, die auch das Leistungsmaximum nach dem ersten Belastungsreiz übertrifft. Durch das Setzen wiederholter spezifischer Reize und genügend langer Erholungsphasen in Verbindung mit dem richtigen Timing kann so eine Leistungsniveausteigerung erreicht werden. Jetzt stellt sich nur die Frage, wie Büroathlet*innen das richtige Timing finden und welcher Belastungsreiz spezifisch und intensiv genug ist.

Zunächst einmal zum Timing. Im Profisport werden verschiedene Biomarker (z.B. Herzratenvariabilität, Ruhepuls, Qualität und Quantität des Schlafs) und sportartspezifische Leistungstests (z.B. vertikaler Sprung bei Basketballer*innen) genutzt, um den bestmöglichen Zeitpunkt für eine erneute Reizsetzung zu bestimmen. Übertragen auf Büroathlet*innen könnte das heißen, dass jeden Morgen die Herzratenvariabilität bestimmt und ein Konzentrationstest am PC-Arbeitsplatz durchgeführt wird. In der Konsequenz hieße das, dass nur, wenn die Werte auf einen Superkompensationszustand deuten, sich eine erneute Höchstleistung, die sogar die letzte Höchstleistung im Job ein wenig überschreitet, für den Arbeitstag vorgenommen wird. Dieses zugegebenermaßen sehr technokratische Vorgehen kann und möchte mit Sicherheit nicht jede ambitionierte Büroathlet*in dauerhaft auf sich nehmen. Die gute Nachricht ist: Das muss sie/er auch gar nicht. Viel wichtiger als die dogmatische Belastungssteuerung nach Datenbasis ist es für Büroathlet*innen, ein Gefühl für den aktuellen Leistungszustand zu gewinnen. Ist dieses Gefühl zuverlässig vorhanden, dann erfolgt eine intuitive Belastungssteuerung nach einer Weile. Um dahin zu kommen, kann ein Zeitraum, in dem Biomarker erfasst werden, helfen. So können Büroathlet*innen objektive Daten mit ihrem Körpergefühl vergleichen und bekommen nach kurzer Zeit eine ziemlich genaue Intuition bzgl. des Timings der Belastung.

Jetzt bleibt noch offen, wie ein möglichst spezifischer Reiz erkannt und wie die Intensität des Reizes gemessen werden kann. Spezifisch ist der Reiz, wenn er den Belastungen im Berufsalltag entspricht. Keine Büroathlet*in muss also zwangsläufig ein Fitnessstudio aufsuchen, um die Leistungsfähigkeit im Bürojob zu steigern. Vielmehr sollten sich fordernde Aufgaben oder Projekte für den Tag gesucht werden. Ob der Belastungsreiz genau richtig, unterschwellig oder total darüber war, ist kaum messbar. Vielmehr zählt hier auch wieder das Körpergefühl der Büroathlet*in. Die Aufgabe sollte als herausfordernd wahrgenommen werden, damit eine adäquate Reizintensität sichergestellt wird. Wird der Reiz als zu wenig intensiv, d.h. unterschwellig, wahrgenommen, kann einfach nachgebessert werden, indem die Büroathlet*in einen weiteren Reiz nachschiebt. Da der Organismus zwar spezifisch für Aufgaben trainiert werden will, jedoch keine differenzierte Unterscheidung der Belastungsreize ermöglicht, kann bspw. mit einer intensiven Sporteinheit der Gesamtreiz auf die notwendige Belastungsintensität gesteigert werden. So ist es möglich immer eine angepasste Belastungsintensität sicherzustellen und obendrein dem menschlichen Nervensystem noch etwas zu geben, was es liebt: Abwechslung.

Wie kann ich die Belastungssteuerung für eine Leistungssteigerung umsetzen?

Belastungssteuerung für Büroathlet*innen ist kompliziert, da sich im Vergleich zum Spitzensport die Disziplin Büroarbeit oft sehr inhaltlich sehr heterogen darstellt. Wichtig ist deswegen die grundlegend benötigten Fähigkeiten Ihrer individuellen Arbeit zu identifizieren. Das könnte bspw. Konzentrationsfähigkeit, Rhetorik, komplexes Denken, Kreativität, usw. sein. Haben Sie die für Sie individuell wichtigsten Fähigkeiten identifiziert, kann ähnlich wie im Spitzensport ein „Trainingsplan“ erstellt werden. Hier hilft das von Robin Westermann entwickelten System des Potential-Hackings. Spezifisch auf Ihre Leistungsziele kann nicht nur ein Plan entwickelt, sondern diese auch anhand von z.B. Biomarkern überprüft und angepasst werden. Nur so kann eine bestmögliche Zielerreichung sichergestellt werden. Nach einer Zeit bekommen Sie selbst ein Gefühl für Ihre individuelle Belastungssteuerung, sodass ein bewusstes Training zum intuitiven Verhalten wird und sie lebenslang davon profitieren.